Die Unschuldsvermutung besagt, dass jeder einer Straftat Verdächtigte während der gesamten Dauer des Strafverfahrens als unschuldig gilt und nicht er seine Unschuld, sondern die Strafverfolgungsbehörden seine Schuld beweisen müssen.
Die Unschuldsvermutung gilt zurecht als eine der großen Errungenschaften des Rechtsstaats und sie ist grundlegender Bestandteil demokratischer Rechtssysteme.
Geschichte
Die moderne Unschuldsvermutung basiert auf Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, die sie wie folgt formuliert:
„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“
Der Grundgedanke geht aber bereits aus den Digesten von Justinian aus dem 6. Jahrhundert hervor. Dort heißt es unter 22.3.2 als allgemeine Beweisregel: Ei incumbit probatio qui dicit, non qui negat – „Der Beweis obliegt dem, der behauptet, nicht dem, der leugnet.“.
In Deutschland ist die Unschuldsvermutung nirgends explizit geregelt. Sie ergibt sich aber nach einhelliger Auffassung aus dem Rechtstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG, Artikel 28 Abs.1 GG in Verbindung mit Artikel 6 der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention). Artikel 6 Abs. 2 der EMRK lautet ausdrücklich:
„Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“
Unschuldsvermutung & Strafverfahren
Aus der Unschuldsvermutung folgt, dass niemand gezwungen werden darf, vor Gericht auszusagen, um seine eigene Unschuld zu beweisen. Kern der Unschuldsvermutung im Strafverfahren ist, dass der Angeklagte nicht seine Unschuld beweisen muss, sondern dass der Staat bzw. die Strafverfolgungsbehörden die Schuld beweisen müssen. Dem Beschuldigten bzw. Angeklagten steht ein umfassenden Schweigerecht zu, ohne dass daraus negative Schlüsse gezogen werden dürfen.
Auch eine zwangsweise biometrische Entsperrung eines Smartphones durch Polizei ist mit der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren (mehr hierzu).
Besteht die (begründete) Besorgnis, dass ein Richter nicht unvoreingenommen ist, kann dieser als Folge der Unschuldsvermutung als befangen abgelehnt werden.
Infolge der Unschuldsvermutung sollen Angeklagte bei Gericht grundsätzlich auch nicht gefesselt sein und normale Kleidung tragen.
Durchbrechung der Unschuldsvermutung
Die Unschuldsvermutung kann unter bestimmten Umständen allerdings auch gewissen Grenzen unterliegt.
Die einschneidendste Durchbrechung der Unschuldsvermutung ist sicherlich die Anordnung der Untersuchungshaft. Da ein Unschuldiger jedoch nicht ohne Weiteres seiner Freiheit beraubt werden darf, sind die entsprechenden Voraussetzungen – zumindest in der Theorie - eng. So müssen zum einen ein dringender Tatverdacht und zum anderen ein Haftgrund wie Flucht, Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr vorliegen.
Auch der Vermögensarrest – d.h. die Beschlagnahme von Vermögenswerten – im Ermittlungsverfahren stellt eine Durchbrechung der Unschuldsvermutung dar.
„Prominente bleiben nie unschuldig“
Die Unschuldsvermutung gilt vorbehaltlos auch für Prominente, diese schützt sie aber kaum. Bei prominenten Beschuldigten führt bereits der veröffentlichte Verdacht einer Straftat zu dauerhaften Schäden, auch wenn das Verfahren später eingestellt wird oder der Prominente freigesprochen wird.
Unschuldsvermutung & Medien (Verdachtsberichterstattung)
Medien haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit über wichtige Ereignisse der Gegenwart zu informieren. Dazu gehören auch begangene Verbrechen. Solange ein mutmaßlicher Täter aber noch nicht von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde, haben auch Medien die Unschuldsvermutung zu achten.
Die Pressefreiheit gilt nicht absolut, sondern erfährt ihre Grenzen insbesondere im allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Betroffenen. Bei Berichten über laufende Verfahren hat stets eine sorgfältige Abwägung unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit stattzufinden.
Um der verfassungsrechtlich garantierten Unschuldsvermutung gerecht zu werden, hat die Rechtsprechung mehrere Kriterien und Grundsätze der Verdachtsberichterstattung aufgestellt, welche im Falle einer Berichterstattung auf Grundlage eines Verdachts durch die Medien, Journalisten und Zeitungen sorgfältig zu beachten und einzuhalten sind:
- Ein berechtigtes öffentliches Interesse
- Eine sorgfältige Recherche und eine Pflicht zur Konfrontation (insb. Möglichkeit der Stellungnahme des Betroffenen)
- Mindestbestand an Beweistatsachen
- Keine Vorverurteilung
Strafverteidiger
„Lieber ein Schuldiger frei, als dass ein Unschuldiger im Gefängnis“
Der Kampf um die Unschuldsvermutung ist täglicher Kampf eines Strafverteidigers. Wo Gerichte oder Medien die Unschuldsvermutung missachten, ist es unsere Aufgabe für die Unschuldsvermutung und die Rechte des Beschuldigten einzustehen.