(Fern-) Kommunikation verlagert sich immer mehr in den Bereich von Chats, die etwa über Smartphone-Apps geführt werden. Hierfür interessiert sich im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auch Polizei & Staatsanwaltschaft.
Durch die Auswertung von Chatverläufen können oft – insbesondere bei Betäubungsmitteldelikten – Beweise gewonnen werden, die zur Überführung der Täter führen.
Die Ermittlungsbehörden haben dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten an die Daten zu gelangen. Entweder werden diese auf (beschlagnahmten) Mobiltelefonen gelesen und ausgewertet - keine Pins oder Passwörter freiwillig herauszugeben - oder der Datenverkehr an sich wird überwacht und abgefangen.
EncroChat
Eine besondere (europaweite) Dimension erfährt das Thema aktuell durch die Auswertung der Chatverläufe, die über Handys des Providers „EncroChat“ geführt wurden. Diese Daten stammen aus französischen Ermittlungen und wurden den deutschen Behörden zur Verfügung gestellt.
Bei EncroChat handelte es sich um ein Unternehmen, welches seinen Kunden besonders ausgestattete Mobiltelefone inklusive eines Messengers anbot, durch welche man untereinander (EncroPhone zu EncroPhone) kommunizieren konnte. Diese wurden als abhörsicher und nicht entschlüsselbar beworben.
Den französischen Behörden gelang es dieses System zu infiltrieren. Zur Umgehung der Nachrichtenverschlüsselung wurde mithilfe eines Updates ein Trojaner auf alle Endgeräte aufgespielt, welcher es französischen Behörden ermöglichte, sowohl auf gespeicherte Inhalte zuzugreifen als auch die laufende Kommunikation abzufangen.
Diese Daten wurden dann auch den deutschen Behörden zur Verfügung gestellt, welche auf dieser Grundalge massenhaft Ermittlungsverfahren einleiteten.
Sind diese Daten verwertbar?
Die deutschen Oberlandesgerichte gehen bislang einheitlich von einer Verwertbarkeit der erlangten EncroChats aus.
Es handle sich zum einen um eine Art „Zufallsfunde“, deren Verwertung gem. § 100e VI Nr. 1 StPO zulässig sei. Die zugrundeliegenden Maßnahmen der französischen Behörden entsprächen der in § 100b StPO geregelten Online-Durchsuchung. Dabei komme es nicht darauf an, dass zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme in Frankreich noch kein qualifizierter Tatverdacht iSd § 100b StPO gegen den jeweiligen Betroffenen bestand. Es sei vielmehr ausreichend, dass sich dieser erst aufgrund der aus den EncroChats erlangten Erkenntnisse ergebe. Andere gehen weiter und meinen, der erforderliche Tatverdacht für die Verwertung der Erkenntnisse ergebe sich bereits allein aus der Verwendung der sogenannten „Kryptohandys“.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe führt exemplarisch in seinem Beschluss vom 10.11.2021 (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.11.2021 – 2 Ws 261/21) aus:
„Die von den französischen Behörden erhobenen und den deutschen Strafverfolgungsorganen übermittelten Inhalte von über EncroChat geführter Kommunikation sind trotz eines Verstoßes gegen rechtshilferechtliche Vorschriften bei der Beweisgewinnung in deutschen Strafverfahren verwertbar. (...)
Es ist zwar zu berücksichtigen, dass mit den Ermittlungsmaßnahmen in die besonders sensiblen Bereiche des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) bzw. des Schutzes der Integrität informationstechnischer Systeme als Teil des ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wurde. Dies wird allerdings dadurch relativiert, dass die Angekl. diesen Schutz bewusst zur Begehung schwerer Straftaten missbraucht haben und nach den gesamten Umständen, insb. der fehlenden Möglichkeit, die überwachten Geräte für konventionelle Kommunikation zu verwenden, von vornherein nicht zu erwarten war, dass mit der Überwachung schutzbedürftige sensible Daten gesammelt werden würden. In der Zusammenschau wiegt der Rechtsverstoß danach vorliegend nicht so schwer, dass deswegen ein Beweisverwertungsverbot geboten wäre.“
Auch der Bundesgerichtshof hält die EncroChat-Daten für verwertbar (BGH).
Strafverteidiger EncroChat
Vor diesem Hintergrund muss man als Angeklagter/Beschuldigter davon ausgehen, dass die Ermittlungsbehörden und die Gerichte diese Daten derzeit verwertet werden, was oftmals zur Überführung führen wird. Sofern daher auch andere Verteidigungsmöglichkeiten bestehen, sollte man sich darauf fokussieren und nicht darauf spekulieren, dass die Daten unverwertbar sein.
Aus Strafverteidigersicht liegt aber ein Verwertungsverbot vor, sodass die Daten nicht verwertet werden dürften.
Ausgangspunkt ist das in Art. 10 I GG geschützte Fernmeldegeheimnis. Als Kommunikationsgrundrecht schützt es vor Ausforschung der Kommunikationsinhalte einerseits und der Kommunikationsbeziehungen andererseits.
Der Staat darf nur unter engen – gesetzlich vorgeschriebenen – Voraussetzungen darin eingreifen.
Wenn digitale Kommunikation durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützte Chats stattfindet, besteht nach § 100a I StPO die Möglichkeit, die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation bereits „an der Quelle“ durchzuführen. Der Zugriff auf die Kommunikationsinhalte erfolgt vor oder nach ihrer Verschlüsselung. Mithilfe technischer Mittel kann in das vom Betroffenen genutzte informationstechnische System eingegriffen werden. Es darf heimlich eine forensische Software („Bundestrojaner“) eingeschleust werden, die Kommunikationsdaten auf dem Gerät abfängt und an die Ermittlungsbehörden ausleitet. Über § 100a I StPO dürfen die Behörden auch auf bereits gespeicherte Kommunikation zugreifen. Ausgelesen werden dürfen zum Beispiel gespeicherte E-Mail-Postfächer oder WhatsApp-Accountdaten. Einschränkend ist dies nach dem Gesetzeswortlaut nur dann zulässig, wenn die Inhalte auch während des laufenden Übertragungsvorgangs in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.
Die rechtlichen und technischen Anforderungen der Maßnahmen sind hoch und es erfolgte gerade keine solche Anordnung. Folglich scheidet eine Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs und eine Verwertung der erlangten Erkenntnisse nach diesen Vorschriften aus.
Auch § 100e VI Nr. 1 StPO (analog) vermag die Verwertung nicht zu rechtfertigen. Die inländischen Verfahrensgrundsätze dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass die Daten durch eine ausländische Maßnahme gewonnen wurden.
Auch ein verwertbarer Zufallsfund lag nicht vor. Bei Zufallsfunden handelt es sich allgemein um Erkenntnisse, die in dem Verfahren, das Anlass für die Maßnahme war, ohne Bedeutung sind, jedoch als Beweismittel oder Spurenansatz in einem anderen, gegebenenfalls aufgrund dessen einzuleitenden, Strafverfahren infrage kommen.
Die französischen Behörden gingen jedoch unmittelbar auch gegen die deutschen Nutzer der Chats vor. Die Maßnahmen waren allein darauf gerichtet, die Strafverfolgung insbesondere auch der deutschen Nutzer in Deutschland zu ermöglichen. Sie wurden mithin gerade nicht bei Gelegenheit der Durchführung einer anderen Maßnahme gewonnen. Die Maßnahme richtete sich vielmehr unmittelbar gegen die Nutzer. Eine Verwertung als Zufallsfund nach § 100e VI Nr. 1 StPO scheidet daher bereits aus diesem Grund zwingend aus.
Strafverfolgung um jeden Preis ist dem Rechtsstaat fremd. So gerne er die Daten zur strafrechtlichen Verfolgung nutzen würde, muss sich auch der Staat an Recht und Gesetz halten.
Es bleibt deshalb abzuwarten, wie der europäische Gerichtshof hier entscheiden wird.